Changemanagement und Resilienz: Unternehmen verändern, ohne zu überfordern
Strategisches Changemanagement nutzen
In meinem letzten Blog habe ich beschrieben, wie im NEOresilienz®-Modell organisationale Resilienz als dynamisches Gleichgewicht zwischen betrieblichen Qualitäten beschrieben wird. Heute zeige ich auf, wie das Modell als Orientierungsrahmen im strategischen Changemanagement genutzt werden kann.
Das NEOresilienz®-Modell als Orientierung für strategisches Changemanagement.
Reminder: das NEOresilienz®-Modell im Überblick
Unser Modell trifft folgende Annahmen:
- Um dauerhaft erfolgreich zu sein, werden Unternehmen ihre Ressourcen zur Erreichung der folgenden Ziele einsetzen:
- Neues schaffen, um antizipierte Anforderungen zu bewältigen und/oder Marktchancen zu realisieren
- Die eigenen Leistungen und Angebote rentabel am Markt etablieren
- Sich professionalisieren, um effizienter und dennoch zuverlässig die Leistung bei geringerem Aufwand zu erbringen
- Für die Mitarbeitenden eine Umgebung erzeugen, in der diese fähig und willens sind, ihre Arbeitskraft und ihre Kompetenzen in den Dienst des Unternehmens zu stellen.
- Die dazugehörigen unternehmerischen Kompetenzen sind Innovationsvermögen, Handlungsorientierung, Wissensanwendung und Beziehungsorientierung. Das NEOresilienz®-Modell ordnet diese Kompetenzen als vier Quadranten eines Kreises an.
- Jeder dieser Quadranten wird durch drei betriebliche Qualitäten beschrieben, die ihn in besonderem Maße beeinflussen.
- Einander gegenüberliegende Quadranten (Innovationsvermögen und Wissensanwendung sowie Handlungs- und Beziehungsorientierung) verhalten sich gegenläufig und ergänzen sich gleichzeitig komplementär. Erläuterung: Innovation benötigt Versuch und Irrtum, hohen Anfangsinvestitionen sowie die Bereitschaft zur Risikoübernahme und Fehlertoleranz. Wissensanwendung strebt in die entgegengesetzte Richtung und dient der Perfektionierung, Standardisierung und Qualitätssicherung, bringt jedoch nichts Neues hervor. Beziehungspflege wiederum benötigt Zeit, Austausch, Ergebnisoffenheit und Muße, Handlungsorientierung zeigt sich dagegen in konzentrierter und zielorientierter Zusammenarbeit.
- Die organisationale Resilienz ist davon abhängig, a) wie gut entwickelt jeder Quadrant im Unternehmen ist und b) wie gut ausbalanciert sich die Quadranten zueinander verhalten.
NEOresilienz® als Leitmodell des strategischen Changemanagement
Auf Krisen reagieren Unternehmen, indem sie ihre Aktivitäten in Bezug auf eines oder mehrere der oben genannten Ziele verstärken: Sie wollen z.B. innovativer werden, effizienter, umsetzungsstärker oder attraktiver für Mitarbeitende und Bewerber, je nach Art der Krise. Aktuell führen jedoch multiple, überlagernde Krisen dazu, dass Handlungsbedarf gleichermaßen für alle Ziele wahrgenommen wird. Für das Changemanagement birgt das gleich mehrere Gefahren:
- ein gleichzeitiges Bearbeiten zu vieler Themen und Felder überfordert schnell die Ressourcen der Organisation und ihrer Mitglieder. Das kann zu Frustration, Abwehr, Erschöpfung und Resignation führen
- gleichzeitige Initiativen aufeinander gegenüberliegenden Quadranten führen zu Widersprüchen (z. B. Steigerung von Handlungs- und Beziehungsorientierung: „Nehmt Euch Zeit, euch kennenzulernen, aber erhöht gleichzeitig den Output!“). Mitarbeitende reagieren darauf möglicherweise mit Zynismus und Enttäuschung
- wird ein Quadrant über einen längeren Zeitraum übermäßig betont und dabei sein Komplementär vernachlässigt (z. B. Handlungsorientierung zu Lasten Beziehungsorientierung), kann dies zu Entfremdung und möglichem Ungerechtigkeitserleben führen.
- Initiativen zur Stärkung eines Quadranten sind häufig zu unspezifisch. Maßnahmen zur Stärkung des jeweiligen Quadranten wirken nicht oder nicht hinreichend, weil nicht ausreichend geklärt wurde, welche darunter liegende Qualität der Stärkung bedarf und welche vielleicht schon hinreichend ausgeprägt ist.
Das NEOresilienz®-Modell bietet für den Umgang mit diesen Risiken und Gefahren eine ausgezeichnete Orientierung.
Ein Beispiel im Changemanagement:
Zur Bewältigung von Krisen streben Unternehmen häufig und z. T. reflexhaft eine Steigerung der Innovationen an. Im Changemanagement werden dann häufig entweder sehr enge Maßnahmen initiiert (z.B. das Angebot von Trainings zu Kreativitätstechniken) oder aber sehr weitgefasste Initiativen in Gang gesetzt (Innovationsseminare, Entwicklung einer innovationsfreundlicheren Führungskultur, Neuaufsetzung des verstaubten Ideenmanagements, verstärkte Teilnahme an Kongressen und Erfa-Gruppen‚ Einführung von Design-Thinking-Prozessen etc.). Während der erstgenannte Ansatz zu begrenzt sein dürfte, um wirksam zu sein, ist der zweite so umfangreich, dass er die Organisation extrem herausfordern und belasten kann.
Das NEOresilienz®-Modell ermöglicht eine zielgenauere Vorgehensweise im Changemanagement:
- Mit Blick auf alle vier Quadranten kann zunächst geklärt werden, wie ausgewogen die entsprechenden Kompetenzen im Unternehmen vorhanden sind. Ist es vielleicht sinnvoller, zunächst die eigene Ertragslage durch eine Steigerung der Produktion und eine Schärfung des Zielmarktes zu erhöhen, bevor weitere Innovationen angestrebt werden?
- Welche der betrieblichen Qualitäten, die den jeweiligen Quadranten bestimmen, ist tatsächlich unterentwickelt? Bezogen auf das Innovationsvermögen der Organisation: Fehlt es an Flexibilität, Vernetzung oder Experimentierfreude? Flexibilität hängt meist an Prozessen, Vernetzung an Personen und Experimentierfreude an Fragen der Haltung, der gelebten Hierarchie und Zusammenarbeit, aber auch an Ressourcen wie Zeit, in der experimentiert werden kann. Je nachdem, in welchen Bereichen ein Entwicklungsbedarf gesehen wird, werden also die resultierenden Maßnahmen sehr unterschiedlich sein.
- Nun folgt der Blick auf komplementäre Seite. Im Beispiel ist das Wissensanwendung, also die Fähigkeit, dass – was die Organisation weiß und kann – anzuwenden und zu perfektionieren, um auf diese Art und Weise exzellente Angebote von hoher Qualität unter standardisierten Bedingungen zu bieten. Dies ist eine wichtige Basis für das langfristige Bestehen am Markt, denn nur mit solchen Produkten und Services wird es der Organisation gelingen, kostendeckend zu arbeiten und ihre Kunden langfristig zufrieden zu stellen. Wenn aber Exzellenz- und Qualitätsstreben dazu führen, dass nur perfekte Lösungen akzeptiert werden und dadurch Experimentierfreude unterbunden wird, schwächt dies das Innovationsvermögen. So kann es also im Rahmen des Changemanagement sehr wichtig sein, nicht nur Raum und Zeit zum Experimentieren zu geben, sondern zugleich darauf zu achten, dass dieser Raum sowohl faktisch als auch von der Erwartungshaltung her von hohen Ansprüchen befreit ist.
In Summe ermöglicht das NEOresilienz®-Modell also eine strategisch begründete, ausgewogene und Überforderung vermeidende Gestaltung von Changemanagementprozessen. Gerade dann, wenn mehrere Quadranten der Gestaltung bedürfen, lässt sich mit dem Modell eine geeignete Abfolge der Veränderungsschritte planen, durch die das Auftreten von Widersprüchen im Prozessverlauf möglichst vermieden wird. Und seine Tiefenstruktur sichert, dass Quadranten dort gestärkt werden, wo die größte Wirksamkeit zu erwarten ist und bewahrt vor unspezifischen Gießkannenverfahren nach dem Motto: „Wir richten ab jetzt alles auf Innovation aus“.
Zum Abschluss eine Anekdote, die ich selbst in einem Unternehmen miterleben durfte (bzw. musste): Auf Wunsch der Geschäftsführung und zur Steigerung des Innovationsvermögens sollten alle Teams ihre strategischen Ziele zukünftig partizipativ entwickeln, und zwar mit Hilfe einer neuen, bisher unbekannten Methode (der Zukunftsreise). Im Rahmen der Informationsveranstaltung für die Führungskräfte, die ich im Beisein der Geschäftsführung leitete, äußerten nun einige Führungskräfte Bedenken, ob die resultierenden Ziele der bisher gewohnten Qualität genügen würden. Ich betonte, dass es im ersten Durchgang und für sie und ihre Mitarbeitenden vor allem darum gehen würde, das Verfahren kennen zu lernen und dass schon im zweiten Durchgang ein deutlicher Qualitätssprung zu erwarten sei. Woraufhin mir der CEO ins Wort fiel und betonte, dass er ganz im Gegenteil schon beim ersten Mal beste Qualität erwarte und man keinen Platz für Fehler habe.
So kann Innovation jedenfalls nicht funktionieren. 😉
Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern viel Erfolg bei der Gestaltung und Sicherung ihrer Resilienz, der organisationalen und natürlich auch der individuellen!
Herzlich
Mario von compleneo Consulting
P.S.:
Wenn Ihr
- Anmerkungen habt oder Kritik oder Verbesserungsvorschläge zum NEOresilienz®-Modell äußern möchtet;
- tiefer in das Thema Changemanagement und organisationale Resilienz einsteigen wollt und erfahren möchtet, wie man sie fördern kann oder
- konkrete Unterstützung bei der Weiterentwicklung Eurer Organisation sucht, dann schreibt mir oder ruft mich an. Ich freue mich darauf, Euch kennen zu lernen!
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